Archive for Januar, 2010

Kleine Geschichte aus dem Alltag

Montag, Januar 25th, 2010

… nicht nur ein Sofa

Eines Tages kam ich an einem Möbelladen vorbei. Vom Eingang her sehr gut sichtbar, stand dort ein großes, pinkfarbenes Sofa mit Cordbezug. Ich war fasziniert. Das war eines dieser Dinge, die man sieht und sofort weiß: „Das ist nur für mich gemacht“. Wäre das Sofa ein Mann gewesen, hätte ich es sofort geheiratet! Magisch angezogen, eilte ich in den Laden und versank in den bequemen pinkfarbenen Cordpolstern. Am liebsten wäre ich gar nicht mehr aufgestanden, so gemütlich waren diese weichen, flauschigen Kissen.

Das muss ich haben! Doch wie aus dem Nichts meldete sich plötzlich meine Vernunftstimme und sprach: „Es ist viel zu groß, sperrig und außerdem hast du gerade gar keine Wohnung. Das Letzte also, was du in deinem Leben brauchst, ist ein Sofa“. Meine Kauflaune war schlagartig beendet und die Vernunft siegte. Desillusioniert stand ich auf und verließ den Laden – ohne Sofa. Dennoch nahm ich jeden Tag einen riesengroßen Umweg in Kauf, um an dem Möbelladen vorbei zu kommen und mich zu vergewissern, dass es noch da ist. Nach nur vier Tagen war es weg. Völlig geschockt und fassungslos eilte ich in das Geschäft. „Bestimmt haben sie es nur umgestellt und es steht jetzt an einer anderen Stelle“, versuchte ich mich zu beruhigen. Der Verkäufer aber schüttelte auf mein Nachfrage hin nur mitleidig den Kopf:„Tja, bei so einem Schnäppchen muss man eben sofort zuschlagen“. Diese Antwort war niederschmetternd und angesichts meines fassungslosen Gesichtsausdruckes, fand ich diese Reaktion geradezu herzlos. Zerknirscht startete ich noch einen letzten Rettungsversuch: „Wie heißt denn der Hersteller, vielleicht können Sie es nachbestellen.“ „Das ist unmöglich, denn hierbei handelte es sich um ein Einzelstück, das eigens für uns angefertigt wurde“. Zerschlagen verließ ich den Laden.

Noch lange trauerte ich meinem Sofa hinterher. Ich schmiedete sogar Pläne wie ich den Käufer ausfindig machen könnte. Vor meinem inneren Auge sah ich mich überall in der Stadt Zettel aufhängen: Belohnung! Wer hat zwischen dem … und dem … MEIN pinkes Cordsofa bei Möbel & More gekauft. Bitte sofort unter folgender Telefonnummer melden … Natürlich war das nur ein Hirngespinnst. Doch um die Sache irgendwie verarbeiten zu können, kaufte ich schließlich für meine neue Wohnung alle möglichen Gegenstände in rosa/pink: Stühle, Blumentöpfe, Messer mit pinkfarbener Klinge, Vorratsboxen … egal, Hauptsache die richtige Farbe. Eine Zeitlang war ich geradezu fixiert von dem Gedanken an das pinkfarbene Sofa. Noch heute ertappe ich mich manchmal dabei, dass ich mir das Sofa in meiner neuen Wohnung vorstelle oder unwillkürlich dieses Sofa mit jedem andern vergleiche. Meistens aber, nachdem ich eine Weile darüber nachgedacht habe, komme ich immer zu dem Schluss, dass es gut war das ich das Sofa nicht gekauft habe: Es war viel zu groß und hätte nirgendwo hingepasst. So setze ich mich etwas wehmütig auf meinen pinken Klappstuhl, nehme einen Stift aus meiner pinken Stiftebox, gucke aus dem Fenster, vorbei an meinem pinken Blumentopf und schreibe ein kleine Geschichte über ein pinkfarbenes Sofa, das für mich bestimmt war, auf dem nun eine Person sitzt, die überhaupt gar keinen persönlichen Bezug zu diesem Möbelstück hat. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt und vielleicht wird das Schicksal mich irgendwann wieder mit meinem Sofa zusammenführen …

Die erste Kurzgeschichte in diesem Jahr

Mittwoch, Januar 6th, 2010

Fünfzehn Minuten

Es war kalt und regnete, dennoch quälte ich mich vor die Tür. Schließlich konnte ich nicht schon wieder eine Verabredung absagen, nur weil ich mich gerade nicht danach fühlte. Die Bahn kam wieder einmal zu spät. Durchgefrohren und verärgert setzte ich mich auf den erstbesten Platz den ich erreichen konnte. An der nächsten Haltestelle stieg ein Mann ein – dunkel gekleidet, ein zweideutiges Lächeln auf den Lippen. Die Bahn war menschenleer, dennoch steuerte er zielstrebig auf den mir gegenüberliegenden Platz zu. Im ersten Moment dachte ich daran mich einfach wegzusetzen, doch dieser eine, letzte Impuls von Ärger und Entrüstung fehlte um dieses Vorhaben in die Realität umzusetzen.

Wie gelähmt blieb ich sitzen, wandte demonstrativ meinen Kopf ab. Draußen war es bereits dunkel und die Scheibe verwandelte sich in einen Spiegel. Zuerst sah ich mein müdes, fahles Gesicht, dann sein Spiegelbild. Er beobachtete mich. Das Gefühl von Unwohlsein wurde immer stärker. Ich wagte es nicht einmal genauer hinzusehen um festzustellen wer er eigentlich war. Für einen kurzen Moment streiften sich unsere Blicke. Die Situation wurde unerträglich, ich musste ihn ansprechen. Als ob gar nicht ich die Worte sagen würde, hörte ich meine zittrige Stimme die Stille durchbrechen: „Wissen Sie vielleicht wann wir genau am Hauptbahnhof ankommen werden?“ „In fünfzehn Minuten“, antwortete er knapp. Nachdem schon wieder einige Zeit verstrichen war und ich fast nicht mehr mit einer weiteren Reaktion gerechnet hätte, sagte er: „Ich spüre das sie gerade etwas sehr bewegt.“ Etwas verwirrt, antwortete ich: „Ich glaube nicht das sie das etwas angeht. Wir kennen uns doch gar nicht.“ „Geben sie mir ihre Hand“, entgegnete er bestimmend, griff im selben Augenblick danach und legte sie in seine. Wieder überkam mich ein lähmende Gefühl und ließ es geschehen.

Verwundert stellte ich fest, das diese plötzliche Berührung eines Fremden mir nicht unangenehm war. Umso mehr erschreckte es mich als er meine Hand mit einem Ruck nach hinten bog, so dass die Sehnen fast schon ein wenig überspannten. Ich war erstaunt, denn diese  raue Bewegung stand ganz im Gegenzug zur sanften Wärme die ich eben noch gespürt hatte. Er beugte sich tief über meine offene Handfläche und bog sie im Gelenk noch einmal etwas stärker nach unten, so als ob er testen wollte wie dehnbar ich wäre. Schließlich sprach er: „Ich werden mit meiner Deutung erstmal an der Oberfläche bleiben. Sie haben jedoch die Möglichkeit später eine Frage zu stellen. Aber nur Eine!“ , fügte er drohend hinzu. Wie ein aufgeklapptes Buch fühlte ich mich plötzlich. Sein stechender Blick war direkt auf mich gerichtet. Er kniff seine Augen zusammen, wodurch sie noch kleiner wurden und das Weiß darin fast völlig verschwand. Mehr als ein leichtes Nicken, konnte ich nicht erwidern.

Nachdem er einen Stift aus seiner Jackentasche gezogen hatte, wandte er sich wieder meiner Handfläche zu, begann mit der Stiftspitze tief in meiner Hand zu stechen, um drei Punkte zu markieren. Von Mal zu Mal stach er stärker zu. Diese Handlung war genauso rau und unvorhergesehen wie das gewaltsame Zurückbiegen meiner Hand. Obwohl es fast schon schmerzte, entgegnete ich nichts, sondern wartete gespannt wie es weiter gehen würde. „Dieses sind die drei Säulen in ihrem Leben, auf die sie sich stützen um nicht umzukippen. Sie haben Angst davor eine dieser Säulen zu verlieren, doch in Wirklichkeit brauchen sie nur eine Einzige. Ich rate ihnen: lösen sie sich von diesen nutzlosen Pfeilern in ihrem Leben, sie behindern sie mehr als das sie ihnen helfen würden! …“ Er redete weiter, immer schneller und hastiger, sein Kuli stach weiter in meine Handfläche ein. Es schmerzet aber ich sagte nichts. Woher kam nur dieses lähmende Gefühl. Wieso befreite ich mich nicht aus dieser unbegreiflichen Situation?

Seine Augen waren nur noch dünnen Schlitze. Wer war dieser Mensch? Warum tat er das Alles? Sein Gesicht schien förmlich in den Linien meiner Hand zu versinken. War mir seine Wärme eben noch angenehm erschienen, so spürte ich plötzlich eine Kälte meinen ganzen Körper durchziehend. Erschrocken zog ich meinen Arm zurück. Zum ersten Mal sah ich seine Hand darunter liegen. Unfassbar musste ich feststellen, das die Oberfläche dieser keine einzige Linie durchzog, ich blickte auf eine glatte Hautfläche. Mit aufgerissenen Augen starrte ich ihn an. „Nun“, sagte er,„hier muss ich Sie leider verlassen, wir haben die Haltestelle erreicht an der ich aussteigen muss. Schade, gerade hat es richtig Spass gemacht mich mit ihnen zu unterhalten. Sie müssen noch weiter fahren? Ach ich vergaß bis zum Hauptbahnhof wollten sie ja. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend.“ Er ging zur Tür. Kurz bevor er die Bahn verließ drehte er sich nochmals zu mir um. „Sind sie sicher, das sie zum Hauptbahnhof wollen. Sie könnten doch genauso gut bis zur Endhaltestelle fahren, oder auch hier aussteigen oder eine weiter und dann aussteigen … haben sie mal über diese Möglichkeiten nachgedacht?“ Er verschwand in der Dunkelheit und ließ mich ratlos zurück. Mit einem leichten Ruck fuhr die Bahn los.

Die nächste Haltestelle hieß Inselstraße. Seltsam, so oft ich diese Strecke schon gefahren war, doch an dieser Station war ich noch nie ausgestiegen. Ich drückte mein Gesicht dicht an die Scheibe um etwas sehen zu können. Eine Straßenlaterne beleuchtet ein schönes Eckhaus mit einer Kneipe die „Bunter Hund“ hieß. „Sind Sie sicher das Sie zum Hauptbahnhof wollen …“, die letzten Worte dieses mysteriösen Herren kamen mir wieder in den Sinn. Nein, ich war mir nicht sicher. Was wollte ich eigentlich am Hauptbahnhof? So sehr ich auch darüber nachdachte, es fiel mir nicht mehr ein. Ein kalter Windzug zog durch die immer noch offen stehende Tür herein. Ich stand mit einem mal fest entschlossen auf und stieg aus. „Mal sehen was in dem „Bunten Hund“ so los ist …“