Oma Maria

Juni 13th, 2012

Portrait Maria Ungar

Die Kleine und die Große

Oktober 15th, 2011

Eine junge Frau sitzt auf einer Parkbank. Wie aus dem Nichts, steht plötzlich ein kleines Mädchen vor ihr und starrt sie an. Dieser forsche, zielgerichtete Blick reißt sie aus ihren Tagträumen: „Kaufst du mir ein Eis?“ Die Frau ist zunächst sprachlos, doch die dünne Kinderstimme wiederholt etwas eindringlicher: „Was ist jetzt, kaufst du mir ein Eis?“. Der erste Impuls der Frau ist  „Nein, warum sollte ich“ zu sagen, doch dann ändert sie ihre Meinung: „Ganz schön frech bist du! Aber nagut, ich kaufe dir ein Eis, wenn du mir versprichst, dass du brav bist und keine fremden Leute mehr ansprichst, die gerade trübsinnig ihren Gedanken nachgehen.“ „Waaaaas, du kaufst mir wirklich ein Eis?“ „Ja aber, warum fragst du mich überhaupt, wenn du es selbst nicht für möglich gehalten hast.“ Verschüchtert beißt sich das Mädchen auf die Lippe und schweigt.

Das Eisgeschäft befindet sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite, gehorsam trottet die Kleine hinter ihr her. „Was möchtest du?“ fragt die Frau und dreht sich dabei zu dem kleinen Mädchen um. „Vanille und Nuss.“ „Zufälle gibt es, das sind auch meine Lieblingssorten oder waren es viel mehr, als ich noch ein Kind war.“ „Duuu warst mal ein Kind?“ „Wieso, sehe ich so alt aus, dass du mir das nicht zutraust?“„Neeeeein, lacht das Mädchen, „du bist nur so grooooß.“ Sie lachen nun beide und die Frau muss überlegen, wann sie das das letzte Mal so herzhaft getan hat. „Ich möchte auch so sein wie du, so groß.“ Bewundernd nimmt das Mädchen den Kopf in den Nacken und sieht zu ihr hoch. „Ach, lieber nicht, das wirst du noch früh genug und dann wünschst du dir wieder klein zu sein!“ „Aber wenn ich groß bin, dann werde ich Schauspieler oder Abenteurer oder ich fahre einmal quer durch den ganzen AmaSonas … oder …“ „Es heißt Amazonas mit einem Z … Was für eine naive Vorstellung. Du weißt gar nicht wie gefährlich es dort ist. Man muss sich gegen Alles mögliche Impfen lassen, sonst bekommt man nachher noch eine lebensgefährliche Krankheit. Außerdem gibt es jede Menge bösartige Tiere. Das sind doch alles nur Träumereien. Warte mal ab, bis es soweit ist wirst du dich bestimmt ganz anders entscheiden!”

Der  Gesichtsausdruck des Mädchens wird mit einem Mal sehr streng und wirkt gar nicht mehr kindlich. Ihre Stimmte klingt barsch und verliert den piepsigen Ton. “Wie redest du mit mir? Das ist respektlos. Lass mir meine Träume, wenn du keine mehr zu haben scheinst.” Die Frau erschrickt, dass sind nun nicht mehr die Worte eines kleinen Mädchens. „Es tut mir leid, ich wollte dich nicht beleidigen oder verletzen …” Die Kleine kneift ihre Augen zu und beobachtet jede ihrer Bewegungen genau. Die Frau ist irritiert: „Was siehst du mich so an, erinnere ich dich an jemanden, … an deine Mutter?” „Mh, kann sein oder an meine große Schwester vielleicht.” Sie verfällt schlagartig in eine nachdenkliche Haltung und mit konzentriertem Blick kaut sie geistesabwesend an ihren Fingernägeln. Wie aus einem Reflex entfährt der Frau ein Lautes: „Neeein, fang bloß nicht damit an, je früher du damit aufhörst desto besser.” Dann fügt sie deutlich leiser hinzu: „Sie dir meine Nägel an, bis heute habe ich mir diese schlechte Eigenschaft nicht abgewöhnen können.” Mit diesen Worten streckt sie die Finger aus und zeigt sie dem Mädchen. „Oh, die sehen aber nicht schön aus!” ihr Gesichtsausdruck wirkt dabei angewidert: „Solche hässlichen Nägel wie du möchte ich nicht haben!”

Dem Mädchen steigen plötzlich dicke Tränen in die Augen, dabei schüttelt sie sich und stampft mit dem Fuß auf. Als sie schließlich beginnt bitterlich zu weinen und dabei haarsträubende Schluchzlaute ausstößt, wird es der Frau langsam unangenehm. Sie schaut verstohlen nach links und rechts. Am liebsten hätte sie jedem der Vorbeigehenden gesagt: „Äh, das ist nicht mein Kind, … ich weiß auch nicht, was sie hat …“ Doch niemand scheint Anteil an dem Gefühlsausbruch des kleinen Mädchens zu nehmen. Keiner beachtet die Beiden. „Du hast es versprochen!“ „Was habe ich versprochen?“ Mit tränenerstickter Stimme, stößt das Mädchen hervor: „Damals hast du gesagt, dass …“ mitten im Satz stockt sie  und schluckt die letzten Tränen herunter: „Ich bin ich froh dich getroffen zu haben. Vielen Dank für das Eis.“ Das kleine Mädchen stopft sich schnell den letzten Bissen der Waffel in den Mund, dreht sich um und verschwindet hinter den parkenden Autos. Als sie schon nicht mehr zu sehen ist, hört man ihre piepsige Stimme noch rufen: „… und Grüß Konrad von mir!”

Konrad? Hat sie das wirklich gesagt? Woher wusste das Mädchen davon? Konrad war ihr Geheimnis. Konrad war eine Puppe, die sie als Kind geschenkt bekommen hatte und der sie immer noch alles anvertraute, wenn sie das Gefühl hatte, sich an niemand anderes mit ihren Sorgen wenden zu können. Eine seltsame Ahnung überkommt sie, die Kleine vorher schon einmal gesehen zu haben.

Sie dachte noch lange über diese Begegnung nach, konnte sie jedoch keinen Reim darauf machen. Kurz darauf, in einer schlaflosen Nacht, holt sie schließlich einen alten Karton unter ihrem Bett hervor. Sie kramt eine Weile in den Papierschnipsel und Kleinigkeiten umher und findet schließlich ein Foto. Das Bild ist leicht verschwommen, aber sie weiß dass die Abbildung sie selbst als Kindergartenkind zeigt. Mit Bedauern muss sie feststellen, dass manche Erinnerungen, die sie vor einiger Zeit noch in ihrem Gedächtnis wie in einem inneren Film abrufen konnte, immer mehr verblassen. Ja, sie hatte sogar den Eindruck, dass die Erinnerung selbst ausgelöscht ist und nun nur noch eine Erinnerung der Erinnerung vorliegt. Wie eine mit jedem Mal schlechter werdende Kopie, wenn man sie erneut kopiert …

Auf dem Boden des Kartons finden sie ein paar alte Kinderzeichnungen. Damals war ihre Phantasie schier unerschöpflich, auf dem Papier entstanden die unglaublichsten Märchenwelten. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht betrachtet sie Bild für Bild. Bei einer der Zeichnungen stockt ihr jedoch der Atem: Ein kleines Mädchen und eine Frau mit einer Eiswaffel in der Hand vor einem Eistand. Wie ein Blitz durchfährt sie die Gewissheit, dass dies eine Szene aus einem Traum war, der sich vor langer Zeit in regelmäßigen Abständen wiederholt hatte. Immer und immer wieder. Warum, was sollte das alles? Warum wurde sie erneut mit diesem längst vergessen Traum konfrontiert? Warum scheint dieser Traum sie nun bis in die Realität zu begleiten.  Nur das sie dieses Mal nicht das kleine Mädchen ist, sondern die junge Frau. Sie hält das Bild fest in beiden Händen und ihr Blick geht zu ihren Fingernägel, welche sich makellos und unversehrt in einem perfekten Halbmond präsentieren.

Der Schrecken in ihrem Gesicht verschwindet und sie muss lächeln. Wollte sie nicht eigentlich immer schon eine Reise in den Amazonas machen?

Sonnige Ostertage

April 25th, 2011

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Glanzstück

März 25th, 2011

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Lebendige Formen

März 20th, 2011

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Schluss mit dem Schlemmen!

Januar 27th, 2011

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… neues Jahr juchee!

Januar 1st, 2011

… neues Jahr juchee!

Altes Jahr ade …

Januar 1st, 2011

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Oh, Tannenbaum …

Dezember 25th, 2010

Oh, Tannenbaum …

Der Seelenspiegel

September 19th, 2010

… der Spiegel der Seele

Vor einiger Zeit ist mir etwas so Wundersames, Unerklärliches passiert, das ich es unbedingt erzählen muss: Wie schon etliche Male zuvor, fragte ich eine vorbeigehende Person nach dem Weg zu einer bestimmten Straße, da ich mich hoffnungslos verlaufen hatte. Es handelte sich um einen älteren, dunkelhaarigen Mann. Sein Blick war tief und eindringlich und ich spürte eine seltsame Regung in mir. Diese Augen kamen mir so unheimlich bekannt vor, als ob ich in meine eigenen Augen blicken würde. Irritiert blickte ich schnell zur Seite dem Blick nicht länger standhalten können. Unbeirrt antwortete er mir. Ich riskierte noch einen zweiten Blick, … das gleiche Gefühl. Was hatte das zu bedeuten? Der Mann redete und redete, ich verstand nur die Hälfte, nickte aber die ganze Zeit. Bemerkte er meine Irritation? Als der geheimnisvolle Mann seine Erklärung beendet hatte, bedankte ich mich und setzte meine Weg in die angedeutete Richtung fort, ohne genau zu wissen wohin er mich eigentlich geführt hatte. Nach ein paar Schritten, drehte ich mich um und wagte einen Blick in seine Richtung, in dem Moment hielt ein Auto neben mir. Er war es. „Nach der Kreuzung links”, hörte ich ihn sagen. Ich nickte geistesabwesend. Dann verschwand er.

Einen Tage später sollten sich unsere Wege erneut kreuzen. Wie aus dem nichts stand er plötzlich vor mir. „… na, was für ein Zufall!” Unwillkürlich merkte ich wie meine Wangen sich mit Blut füllten: „Vielen Dank nochmals für die Wegbeschreibung, ich war gestern wirklich völlig verzweifelt.” „Oh, sie erinnern sich an mich! Haben Sie Lust auf einen Kaffee? Kommen sie ich lade sie ein … da vorne ist ein nettes Cafe, es ist nicht so überlaufen, da sind wir ungestört.” Ungestört? Warum sollte ich, mit jemandem den ich kaum kenne, ungestört sein wollen. Der Kerl kam mir mit einem Mal sehr suspekt vor. Ja, die ganze Situation machte mich misstrauisch. Das Cafe war in der Tat klein und ebenso leer. Er bestellte zwei Tassen Kaffee, welche auch promt an unseren Tisch gebracht wurden. Er trank einen Schluck, blickte mich wieder mit seinem seltsam bekannten Augen an und verzog dabei seine Lippen zu einem schelmischen Grinsen: „Ich muss ihnen etwas gestehen, ich habe ihre Seele geklaut!” Nach diesem Satz wäre ich am liebsten aufgestanden und hätte ihn mit seinem Kaffee alleine gelassen, ich ließ ihn jedoch aus Neugierde weiterreden.

„Als sie mich auf der Straße ansprachen, war ich mir erst nicht sicher, ob es wirklich ihre Seele ist, die nun in meinem Körper wohnt.” Fassungslos schaute ich ihn an. „Äh, was genau wollen sie mir damit sagen?” „Ich meine, dass ich im besitzt ihrer Seele bin da ich meine vor langer Zeit verkauft habe. Sie sind nur noch eine leere Hülle.” Ich schluckte: „Ich fühle mich aber gerade gar nicht leer.” „Noch nicht, da ich ihn ihrer Nähe bin, doch sie werden sich bald sehr leer fühlen. Sie müssen sich vorstellen, dass die Seele nach dem Wechsel noch eine Weile in dem alten Körper nachglüht.” Mein Hals fühlte sich trocken an, meine Worte kamen wie ein Krächzen aus meiner Kehle. „Aha, und was wird sein, wenn diese Nachglühen beendet ist.” „Dann werden sie zu dem, was ich vor einiger Zeit noch war: Eine leere Hülle.” „Aber wie konnten Sie das tun, warum gerade ich?” „Die Gelegenheit war gut und einen muss es schließlich treffen.” „Wie kann ich das wieder rückgängig zu machen?” Er lachte laut und lange, es schien fast als hörte er gar nicht mehr damit auf. Die wenigen Leute in dem Cafe drehten sich schon nach uns um. „Denken sie, dass würde ich ihnen erzählen, ich bin froh gerade eine Seele wiedererlangt zu haben.” „Warum erzählen sie mir das alles?” „Weil es mir Spaß macht, das ist der einzige Grund. Sie sind machtlos und können nichts dagegen tun. Warum wohl habe ich meine alte Seele verloren?” „Dann erklären sie mir eins: Warum haben sie sich nicht einen Mann für Ihren Seelentausch gesucht?” „Das kann ich ihnen sagen, an eine weibliche Seele zu gelangen schien mir einfacher.” Ich wollte widersprechen, fragen ob er schon mal etwas von Emanzipation gehört hat und warum denn bitte eine Frauenseele schwächer sein sollte, konterte aber stattdessen: „Wenn sie so weiter machen, werden sie meine Seele schnell wieder los werden.” Als er nicht direkt antwortete setzte ich hinterher: „Müssten sie außerdem nicht bald werden wie ich, wenn meine Seele in ihrem Körper gefangen gehalten wird?” „Sie verstehen nicht viel von Seelenwanderung. Ihre Seele wirkt lediglich wie eine Art Motor für meinen Körper. Es könnte jedoch durchaus sein, dass ich bald Dinge tun werde, dich ich vorher nicht getan habe, die eher ihnen ähnlich sehen. Ich denke da wird nicht viel kommen.” Was für eine seltsame Formulierung. „Danke für den Kaffee”, sagte ich, denn ich hatte genug gehört und verließ das Cafe. Ich spürte, dass das genau die Reaktion war, die er erwartet hatte.

Den ganzen Vorfall musste ich erst einmal verarbeiten. Allzu viele Leute wollte ich nicht in mein kleines Geheimnis einweihen, da ich befürchtete man könnte mich für verrückt halten. Jemandem musste ich jedoch davon erzählen. Doch wem? Bei Domian anrufen? Wie viel Zeit blieb mir noch bis meine Seele komplett aus meinem Körper ausgelöscht wäre? Soviel war klar: schnelles Handeln war gefragt. Mein Herz klopfte laut und schnell. Meine Seele war bereits schwächer geworden, mir fehlte es an Energie. „Rette deine Seele so schnell es geht”, schoss es mir durch den Kopf. Mein erster Gedanke war einen Arzt aufzusuchen. Welchen Arzt ruft man an wenn es um einen Seelenverlust geht? Einen Psychologen etwa? Ein Allgemeinmediziner wird wissen was zu tun ist, beschloss ich. Zwei Stunden später befand ich mich im Wartezimmer eines Arzt mit dem wundervollen Namen Dr. Hendrik Retter. Na, passt doch. Während ich in einer der Zeitschriften blätterte, zitterten meine Hände. Kaum nahm ich Notiz von einer alten Dame, die sich noch in dem Zimmer befand. Plötzlich griff eine knochige Hand nach meinem Handgelenk und umfasste es fest. Mir stockte der Atem, mittlerweile jedoch auf alles vorbereitet, was da kommen sollte. Ich blickte zur Seite: Es war die alte Frau die zu mir herüber gekommen war, um meinen Puls zu fühlen. Sah ich tatsächlich so schlecht aus. „Was tun sie da?” fragte ich verwundert. „Mein, Kind, du bist sehr geschwächt. Erzähle mir was passiert ist.” „ … woher wissen sie, … also gut, stammelte ich, bevor es aus mir heraus brach, wie es eben aus jemandem herausbrechen kann, der gerade keine Seele mehr besitzt oder zumindest nur noch etwas wie das Nachglühen einer Seele.” Das Lächeln der Frau strahlte so viel Wärme aus, dass ich ihr die ganze Geschichte von meiner mysteriösen Begegnung mit diesem ebenso mysteriösen Mann erzählte. Die Frau nickte, als hätte sie sich so etwas schon gedacht: „Nun ja, hier wurde einiges falsch dargestellt. Es handelt sich in der Tat um einen Seelentausch, du bist nun im Besitz einer durch schlechten Lebenswandel geschwächten Seele während er deine unverbrauchte intakte Seele besitzt.” Sie zog einen kleinen, runden Spiegel aus der Tasche, der von glitzernden Halbedelsteinen umgeben war. Wie im Reflex und fasziniert von den funkelnden Steinen griff ich danach und schaute hinein. „Was für ein hübscher Spiegel …”, doch was ich erblickte ließ mich so erschrecken, dass ich ihn fast fallen ließ. „Vorsicht mein Kind, es handelt sich um ein sehr wertvolles Instrument, dass auf keinen Fall beschädigt werden darf. Mit Hilfe eines solchen Spiegels wurde deine Seele gefangen und gegen einen andere getauscht und hiermit kannst du mit deinem Peiniger in Kontakt treten.” Als ich erneut in den Spiegel blickte konnte ich ihn sehen: Meinen Seelenfänger. Er lief in einem kargen Zimmer umher, als würde er etwas suchen. Ein Gefühl von Macht überkam mich, denn nun hatte ich ihn in der Hand. Die Tür des Wartezimmers öffnete sich: „Frau Raukenhold, sie sind die Nächste”, hörte ich eine dumpfe Stimme wie aus einem Nebel sprechen. Als ich mich wieder der alten Frau zuwenden wollte, war sie weg. Ebenso mein Siegesmut, nun war ich wieder alleine mit meinem Problem. Wie konnte sie einfach verschwinden, ich hatte noch tausend Fragen? Auf mein Nachfragen hin, sah mich die Sprechstundenhilfe erstaunt an und sagte lediglich: „Tut mir leid, ich weiß nicht wo von sie sprechen, sie waren die Letzte im Wartezimmer.” Fluchtartig verließ ich die Praxis, ein Allgemeinmediziner konnte mir bei meinem kleinen Problem nicht helfen.

Ein weiters Mal schaute ich in den Spiegel, der mir nun wie eine Art Guckloch präsentierte was der Mann auf der anderen Seite gerade tat: Mit zufriedenem Grinsen schob er ein Stück Kuchen in den Mund. „Soll er doch daran ersticken.” Im gleichen Moment musste mein Seelendieb plötzlich in ein fürchterliches Husten ausbrechen und erholte sich erst wieder als er wie ein Hummer im heißen Wasser rot angelaufen war. Dank des Spiegels konnte ich nun wieder mit meiner Seele in Kontakt treten. Allein die Vorstellung gab mir neue Kraft. Ein neuer Versuch: „Soll er doch über seine eigenen Füße stolpern” … – nichts passierte. Meine ganze noch verbliebene Kraft zusammen nehmend, versuchte ich mich auf meine Gedanken zu konzentrieren und … siehe da er stolperte über eine hervorstehende Teppichkante und fiel hin. Im Spiegel sah ich meinen Peiniger auf dem Boden liegen, er hob seinen Kopf und schaute verdutzt umher.

In der Nacht schlief ich sehr schlecht, wälzte mich von einer Seite auf die andere und musste tausend Gedanken in meinem Kopf sortieren. Am nächsten Morgen war er da: Ein Plan meine Seele wieder zurück zu erlangen. Sollte meine Seele auch unverbraucht sein, sie hatte zugleich ihre Ecken und Kanten. Den kleinen Spiegel legte ich vor mich und um der Sache einen mystischen Touch zugeben und zündete neun Kerzen an. Die Augen fest geschlossen konzentrierte ich mich auf eine Szenerie, die ich in allen Einzelheiten immer und immer wieder durchspielte und laut vor mich her sprach, nur so konnte ich meine Seele lenken und das tun lassen was ich wollte! Ich musste laut auflachen, als ich meinen Peiniger am Morgen aus dem Haus stürmen sah um sich im nächsten Kaufhaus durch einen Berg von Taschen, Socken und Kosmetikartikeln zuwühlen. Seinem gequälten Gesichtsausdruck zu urteilen, wusste er gar nicht wie ihm geschah. Dem ersten Wühltisch folgte der Nächste, und der Nächste … ich zeigte kein Erbarmen und ließ keinen noch so kleinen Laden aus. Schließlich saß er in einem Meer von Tüten und Taschen gefüllt mit Dingen die, die Welt nicht braucht. Er sah fix und fertig aus. Power-Shopping, eine eiskalte Waffe die jeden Mann in die Knie zwingen musste. Am Abend sah ich ihn völlig kraftlos in seinem Sessel sitzen. Doch lange sollte die Entspannung nicht anhalten. Meine Lieblingsserie würde ihm bald schon den Rest geben, ob er wollte oder nicht er musste sie sich von vorne bis hinten ansehen. Der nächste Morgen sollte für den armen Kerl keine Besserung bringen, denn sein Körper war von oben bis unten mit roten, eitrigen Flecken überzogen. Das konnte nichts anderes sein als die ersten Anzeichen einer allergischen Reaktion auf meine Seele. Ein grauer Schleier lag über der ganzen Szenerie, die sich mir in dem Spiegel darbot. „Das ist meine Seele”, dachte ich, „ … die sich langsam aus seinem Körper entfernt. Ja, sein Körper beginnt langsam meine Seele wieder abzustoßen.” Zufrieden lehnte ich mich zurück: „So, mein Lieber, nun musst du mir zurückgeben was du mir genommen hast, denn der Schwächere bist nun du, sprach ich in den Spiegel hinein.” So viel zum Thema eine Frauen Seele ist leichter zu bewältigen.

Augenblicklich spürte ich eine Veränderung in meinem Körper. Neugierig hob ich den Spiegel hoch und schaute hinein. Eine dicke Staubschicht behinderte die Sicht, mit dem Ärmel wischte ich ein paar Mal darüber. Im gleichen Moment stieg mir der Staub in die Nase so dass ich laut niesen musste. Mir wurde schwarz vor Augen, ich wankte und musste wohl letztendlich hingefallen sein. Als ich wieder die Augen öffnete lag ich auf dem Boden. Mein Körper fühlte sich erneut mit Stärke gefüllt an, ich war wieder einen Einheit. So sehr ich ihn auch in meiner Wohnung suchte, der kleine Spiegel blieb verschwunden. Bestimmt würde er nun der nächsten Seele helfen. Seitdem bleibe ich oft stehen, wenn ich an einem Spiegel vorbei gehe und winke meiner Seele zu, in der Hoffnung, dass sie sich wohl bei mir fühlt und den Rest meines Lebens bei mir bleibt! Den Mann habe ich nie wieder gesehen, aber ich bin mir sicher er ist immer noch auf der Suche nach einer geeigneten Seele von der er Besitz ergreifen kann. Keine Angst, solange du genügend Ecken und Kanten zeigst, geschieht dir schon nichts, denn er wird einen weiten Bogen um dich machen.